Ganz ehrlich – für mich eine persönliche Königsdisziplin, die mich oft total fertig gemacht hat. Ich bin extrem empathisch für die Befindlichkeiten anderer und litt oft schlimmer an meiner selbst gezogenen Grenze als mein Gegenüber, weil ich den Schmerz der anderen körperlich und emotional fühlen kann. Was machen wir, wenn unsere Grenze bedeutet, dass wir dem anderen verdammt weh tun? Die Antwort lautet: Gar nichts! Denn die Reaktion unseres Gegenübers liegt in seiner Verantwortung und seiner Lernaufgabe. Denn oftmals kommen immer zwei Menschen zusammen – einer, der lernen muss Grenzen zu setzen und einer der lernen muss Grenzen zu akzeptieren.
Selbstredend spreche ich hier nicht von respektlosen, zerstörerischen oder kriminellen Handlungen. Es geht mir eher um Themen, wie – ich möchte, dass wir in getrennten Betten schlafen, ich will mich trennen, ich will alleine in den Urlaub fahren, ich möchte, dass du mich mehr im Haushalt unterstützt, dass ich zwei freie Abende in der Woche habe, dass du klingelst, bevor du ins Haus kommst, dass du respektierst, dass ich gerade müde und kaputt bin und mit dir diese Situation lieber morgen bespreche, wenn ich mehr Energie habe; dass du mich aussprechen lässt usw.
Nach meiner Erfahrung gibt es nun zwei Reaktionen. Die erste, die mir etwas seltener begegnet, aber doch auch vor kommt – mein Gegenüber ist überrascht, findet mich etwas seltsam und sehr sensibel, aber hat kein Problem meine Grenze zu respektieren. Das überrascht mich dann oft selber und ich sage mir – war ja gar nicht so schwer.
Die zweite Reaktion – unser Gegenüber wird emotional. Er weint, schreit, wird aggressiv oder bockig, zieht sich komplett zurück oder verlässt uns sogar. Wichtig für dich ist dann – das darf so sein, es ist ok, dass der andere so reagiert. Versuche nicht zu intervenieren. Lass es so stehen. Denn wir vermeiden ja oft den Mund aufzumachen, weil wir diese emotionalen Eskapaden verhindern wollen. Weil wir nicht wollen, dass der andere so ist. Aber es ist absolut ok – es sei denn es gibt körperliche Gewalt oder grenzwertige Reaktionen, die du nicht akzeptieren kannst, wie Erpressung oder Missbrauch – das ist natürlich eine ganz andere Kategorie.
Gehen wir mal davon aus unser Gegenüber wird bockig, weint oder wird fahrig. Du akzeptierst diese Reaktion und machst dann aber keine Relativierungen. Du gehst nicht von deiner Grenze weg. Du lässt sie stehen und lässt deinen Gegenüber seine Reaktion alleine bewältigen, denn das ist nicht deine Aufgabe. Er ist selbst verantwortlich für seine Emotionen, denn du hast lediglich (bitte respektvoll) deine Grenze gezogen, damit Verantwortung für dein Leben und Wohlbefinden übernommen und gut für dich gesorgt. Du musst dich jetzt nicht um ihn kümmern, deine Grenze aufweichen, du schreist nicht zurück, du bockst nicht, weil er bockig ist, du bleibst offen, wenn er sachlich mit dir darüber sprechen will und verstehen will, wieso.
Oftmals bedeutet das – gehen zu müssen. Verlasse den Raum, denn sonst wirst du wieder zum Wohltäter. Zu Beginn erinnere ich mich, dass ich oft selbst weinend hinter der Tür stand und die Welt verfluchte, wieso ich Auslöser für diese Reaktion bin. Fakt ist aber – dein Gegenüber hat es in der Hand selbst zu entscheiden, wie er auf Situationen reagiert. Manche haben ein Verhalten von „emotionaler Erpressung“ so verinnerlicht, dass sie jedes Mal, wenn man nur den kleinsten Schritt in die eigene „Freiheit“ nimmt, mit Liebesentzug (emotionaler Erpressung) „bestraft“ wird.
Ein Tipp – versuche dich zunächst an Menschen, die dir nicht ganz so nahe stehen, wo deine Mitgefühlantennen nicht so extrem anschlagen. Und schaue, was passiert.
Erfahrungsgemäß reagieren Menschen, die emotionale Erpressung als Muster konditioniert haben, weiter so, aber es wird nach und nach weniger heftig. Vielleicht ist es irgendwann nur noch ein trauriger Blick, statt einer saftigen Standpauke. Denn sie merken, dass ihr Verhalten nicht zu ihrem gewünschten Ziel führt. Ihr Ziel ist es nämlich, dass du dich bitte um ihre verletzten Gefühle kümmerst – aber wie gesagt – es ist nicht deine Aufgabe!
Deine Aufgabe ist es bestmöglich für dich zu sorgen, für deine Bedürfnisse einzustehen, dich um deine unverheilten Emotionen zu kümmern und somit anderen nicht mehr aufzubürden, dass sie sich um dich zu kümmern haben. UND natürlich auch mit den Grenzen anderer umzugehen und dich dann um deine emotionale Reaktion zu kümmern.