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Storytelling im wissenschaftlichen Vortrag?

Mein neuer Präsentationskurs an der TU-Chemnitz stellt mich vor neue Herausforderungen. Kann man einen wissenschaftlichen Vortrag überhaupt spannend und mitreißend vortragen – funktionieren dann solche Sachen, wie Storytelling, über Emotionen reden oder ein Quiz zum Einstieg überhaupt oder wirkt das eher unseriös?

Genauso Businessmeetings in Unternehmen. In vielen Firmen herrscht eher Zeitdruck und die Orientierung nach Ergebnissen. Besonders unterhaltsam muss es nicht sein – „wir wollen fertig werden!“

Und ich sage, doch! Natürlich muss man abwägen, wie viel „Geschichte“ zur Eröffnung zielführend ist, aber ein starker Einstieg schafft Interesse, Souveränität und Aufmerksamkeit. Ein Promotionsstudent der Mathematik zeigte mir seinen wissenschaftlichen Vortrag vor dem Fachpublikum auf YouTube. „Anna, wie soll ich Formeln in eine Geschichte einbetten?“ Ein guter Start wäre zum Beispiel zu berichten, was der letztendliche Mehrwert dieser Untersuchung ist. Denn anders als wir vielleicht auf den ersten Eindruck vermuten, wurde der Vortrag zwar für ein Fachpublikum erstellt, zu sehen ist er jetzt aber im ganzen Internet – auf YouTube auf Platz eins unter seinem Namen. Wir haben es in der Hand, wie wir uns in den „Medien“ präsentieren!

Mein Tipp: Überlege dir, was du deinem Publikum bieten und wie du dich präsentieren willst! Musst du die generelle Motivation erstmal für dein Thema aufbauen und/oder geht es dir darum, besonders souverän und kompetent zu wirken? Im Falle des Promotionsstudenten ist die Intension klar. Die Motivation eines Fachpublikums ist relativ hoch. Es geht also vorwiegend darum, die eigene Person zu stärken und das Thema kompetent zu vertreten. Eine Einleitung über die Wichtigkeit der Untersuchung zeigt, dass der Redner/ Wissenschaftler das große Ganze überblickt und seine Wertigkeit einschätzen kann. Falle also nicht sofort mit dem Thema ins Haus, sondern hole den Zuhörer aus seiner Gedankenwelt ab!

Ähnlich ist es im Businessalltag, wenn es nicht um den Kunden, sondern um Mitarbeiterpräsentationen geht. Vor allem in der Führungsetage muss die Frage nach der Motivation nicht geklärt werden – manchmal doch, aber das ist dann ein anderes Thema. Es geht vor allem darum, seinen Mann bzw. seine Frau zu stehen. Präsentationen sind nicht immer die Großveranstaltungen, sondern oftmals auch die vielen kleinen Vorträge, die jede Woche stattfinden. Dort können wir wunderbar unseren Präsentationsstil verfeinern.

Mein Tipp: Überlege dir, was der Kernpunkt deiner Präsentation ist und wie du ihn in einer kleinen Anekdote, einem Zitat oder einer rhetorischen Frage auf den Punkt bringen könntest. Es kann sehr erfrischend sein, wenn du dich traust einfach mal anders, als sonst vorzutragen.

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Was tun gegen Blackouts?

Eine Möglichkeit gegen Blackouts bei Präsentationen vorzugehen ist die Inszenierung. Soll heißen, dass wir unseren Vortrag wie ein Theaterstück einüben und uns damit ein Sicherheitsnetz bauen. Manche Menschen fragen sich vielleicht, wie Sänger und Schauspieler den vielen Text behalten können. Es liegt daran, dass sie ihr Körpergedächtnis trainieren, indem sie in die Rolle einsteigen und diese dann immer und immer wieder üben. Dabei helfen das Bühnenbild, die Maske und das Kostüm, denn es verstärkt das „in die Rolle einsteigen“. Genau das können wir auch in Präsentationen erreichen.

In die Referentenrolle schlüpfen

Was kann uns helfen in die Rolle des Referenten zu kommen? Die Kleidung natürlich. Zieh dir etwas an, was nicht unbedingt alltäglich für dich ist – mein Tipp, mach dich besonders schick. Auch unsere Körperhaltung kann uns helfen, unseren Auftritt in Szene zu setzten. Schon allein, dass du besonders auf einen guten Stand, die richtige Atmung und Aussprache achtest, kann helfen. Auch der richtige Platz im Raum gibt Sicherheit. Dazu gehört auch sich selbst genug Raum zu nehmen – sich nicht am Stuhl festzukrallen oder die Achseln zusammenzupressen. Nehmt euch den Raum, den ihr braucht.

Einstudierte Vorträge

Die einen lesen ihre Präsentationen ab, die anderen üben sie mit dem Körpergedächtnis. Bei Letzteren trainiert man tatsächlich jeden Satz, jede Pointe, jede Pause. Jedes Wort ist bewusst gesetzt und geübt. Auch die Mimik, die Bewegung im Raum und die Gestik sind für jede Aussage inszeniert.

Authentisch bleiben?

Viele haben Angst, dass sie dann unnatürlich und nicht mehr authentisch wirken, wenn sie ihren Vortrag derart einstudieren. Ich frage dann gern zurück – was bedeutet denn Authentizität? Letztendlich ist es das, was wir täglich tun. Und wenn wir ein neues Verhalten einüben, dann können wir das auch zu „uns“ werden lassen, wenn wir es nur oft genug wiederholen. Außerdem befinden wir uns tagtäglich in unterschiedlichen Rollen – Kinder, Eltern, Freunde, Partner, Kollege, Kunde und eben Redner. Eine einstudierte/r Rede oder Vortrag kann auch sehr unterhaltend und fesselnd auf unseren Zuhörer wirken. Jeder große Speaker „inszeniert“ letztendlich seinen Vortrag, indem er ihn sehr oft übt.

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Warum bin ich so aufgeregt beim Präsentieren?

Warum haben wir so einen Bammel vorm Präsentieren? Ganz einfach, weil wir es so selten machen. Zugegeben einen Vortrag vor Leuten zu halten ist nicht ohne – man präsentiert sich in seiner vollen Größe vor mehreren Personen. Es ist eine unnatürliche Situation, in welcher nur einer das Rederecht hat und dafür von vielen Augenpaaren von oben bis unten angeschaut und bewertet wird. Plötzlich beginnt man über die tollsten Sachen nachzudenken. Wie sehen eigentlich meine Haare aus? Ist mein Hosenstall offen? Warum schaut XY in der zweiten Reihe so kritisch? Können die Leute mich überhaupt verstehen? Oh je – mein Satzbau war auch schon mal besser und ups schon das dritte Ähm in einem Satz.

Unsere Gedanken steuern unseren Körper

Meistens ist die Ursache für starkes Lampenfieber tatsächlich unser Mindset. Unsere Gedanken führen unseren Körper und unsere Stimme. Wir konzentrieren uns so sehr auf die vermeidlich kritischen Gedanken unseres Gegenübers, dass wir unsicher werden. Anstatt sich auf den Vortrag und den Inhalt zu konzentrieren, stressen wir uns selbst mit negativen Gedanken, dass unser Körper überfordert ist.

Zu hohe oder falsche Anforderungen an uns selbst

„Ich kann die Nacht vorher gar nicht schlafen“, sagte letztens eine Kundin zu mir. Wenn das Lampenfieber ein solches Maß erreicht, dann überfordern wir uns meist selbst mit falschen Erwartungen. Meiner Meinung nach muss man keine Standardpräsentation halten, in welcher man sich gar nicht wohlfühlt. Präsentieren darf Spaß machen und oftmals fühlen wir uns viel wohler, wenn wir die Gruppe in unsere Präsentation mit eingliedern. Der Frontalunterricht aus alten Schulzeiten hat uns eingetrichtert – wenn einer vorn spricht, dann haben die anderen Sendepause. Das ist aber nicht nur langweilig und wenig einprägsam für den Zuhörer, sondern auch ein hoher Leistungsdruck für denjenigen, der präsentieren muss.

Präsentieren darf Spaß machen!

Mein Tipp ist immer – macht euch einen Spaß aus eurem Vortrag. Baut eure Präsentation so auf, dass ihr so wenig wie möglich selbst machen müsst und so viel wie möglich das Publikum einbindet. Das ist nicht nur abwechslungsreicher und unterhaltsamer für die Zuhörer, sondern auch einfach natürlicher als die allseits bekannte „Frontalbeschallung“.

Stehe zu deinen Schwächen!

Oftmals leiden auch nur Menschen unter Lampenfieber, die einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Unbekümmerten Menschen fällt es viel leichter vor der Gruppe zu sprechen – sie stehen zu ihren Fehlern und sind mit sich im Reinen. Meistens machen sie viele kleine „Fehlerchen“, die aber durch die generelle Auftrittspräsenz und das Selbstbewusstsein unmerkbar bleiben. Die Perfektionisten unter uns sind allerdings so streng mit sich, dass sie sich selbst blockieren und dadurch manchmal regelrechte Blackouts bekommen.

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Erfolg des Stimmtrainings III

Wovon hängt der Erfolg des Stimmtrainings ab? Teil III (III)

Stresspegel:

Ein nicht zu unterschätzender Punkt, nicht nur in der
Stimmbildung, sondern generell in der Persönlichkeitsentwicklung,
ist der Stresspegel. Unter Stress kann man vielleicht kurzfristig
sehr leistungsfähig sein, aber für eine dauerhafte Veränderung und
Festigung der Stimme ist er eher hinderlich. Ich empfehle meinen
Klienten, mit dem Stimmtraining nicht erst zu beginnen, wenn der
Termin der Präsentation unmittelbar bevorsteht. Denn unter
Leistungsdruck fällt man oft in alte Gewohnheiten zurück und hat
schlichtweg nicht die Nerven, Neues auszuprobieren oder sich gar mit
der Stimme auf Experimente einzulassen.

Für das Stimmtraining sollten Sie sich Zeit nehmen, um maximal
davon profitieren zu können.

Auch die Uhrzeit des Unterrichts spielt eine Rolle für den
Lerneffekt. Legen Sie den Termin für Ihr Stimmtraining nicht ans
Ende eines langen Arbeitstages, wenn Sie schon müde sind und den
Kopf voller Dinge haben. Überlegen Sie, wann Ihr persönliches
Leistungshoch am Tag ist. Bei den meisten Menschen liegt diese Zeit
zwischen 9.00 und 12.00 Uhr bzw. zwischen 14.00 und 17.00 Uhr. Betten
Sie Ihren Unterricht in diese Zeit ein, wenn es Ihnen möglich ist.

Kontinuität des Unterrichtes:

Ein letzter Faktor für den Erfolg im Stimmtraining ist die
Kontinuität des Unterrichts. Gerade am Anfang hat man das Gefühl
auf tausend Sachen gleichzeitig achten zu müssen. Aber meine
Erfahrung zeigt, je gründlicher gerade zu Beginn gearbeitet wird,
desto schneller kommt man zu guten Ergebnissen. Ich empfehle
mindestens einmal in der Woche mit dem Stimmbildner zu trainieren und
bestenfalls jeden Tag seine Übungen zu Hause für sich zu
wiederholen.

Sind die Grundlagen gefestigt, kann auch in größeren
Wochenabständen (aller 2 bis 3 Wochen) trainiert werden. Bei meinen
Studenten mache ich oft auch die erfreuliche Beobachtung, dass sich
das Antrainierte über die Semesterpause, welche leider mit fast drei
Monaten sehr lange ist, gefestigt hat. Das Unterbewusstsein hatte
Zeit, die neuen Eindrücke zu verarbeiten. Und oft kommen die
Studenten mit neuem Schwung und neuen Impulsen in den Unterricht
zurück.

Zum Schluss:

Beim Stimmtraining verhält es sich leider nicht wie bei dem
Zerteilen von Holzscheiten. Zur Erinnerung hier noch einmal
Einsteins Worte: „Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei
dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht.“ Wir werden in der
Stimmbildung keine handfesten Ergebnisse mit nach Hause tragen. Der
Erfolg liegt auf einer anderen Ebene.

Ich verspreche Ihnen, dass Sie sehr
viele Erfahrungen sammeln werden in Bezug auf Ihren Körper und Ihre
Stimme. Sie werden Veränderungen in Ihrer Persönlichkeit
feststellen. Mit einer stabilen und sicheren Stimme, werden Sie auch
in Ihrer Wirkung, in Ihrer Präsenz und Ihrem Auftreten stabiler und
sicherer. In jedem Falle können Sie selbstbewusster, authentischer
und überzeugender kommunizieren. Sie werden lernen, dass man nicht
nur einen Inhalt präsentiert, sondern auch die ganze Persönlichkeit,
zu welcher der Körper – und vor allem die Stimme – einen großen
Teil beitragen.

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Stimme und Bauch

Stimme und Bauch – Wie gehört das zusammen?

In meiner Unterrichtspraxis stelle ich immer wieder fest, dass
viele Menschen ungern ihren Bauch beobachten lassen oder gar beim
Einatmen „rausstrecken“ wollen. Aber woher kommt das? Warum ist
unser Bauch so eine empfindliche Region an unserem Körper und warum
ist er überhaupt relevant für die Stimme?

Evolutionsbiologisch haben wir uns sehr lange auf vier Beinen
bewegt, bevor wir uns zum aufrechten Gang erhoben haben. Unser Bauch,
mit all seinen lebenswichtigen Organen, war von unserem Rücken in
einer vierbeinigen Position gut geschützt vor Angriffen. Auch Tiere
geben diesen Schutz nicht gern auf. Sie kennen das vielleicht von
Ihrer Katze – sie lässt sich nicht von jedem den Bauch streicheln.
Dazu muss das Tier erst genug Vertrauen aufgebaut haben. Mit dem
aufrechten Gang ging dieser Schutz für den Menschen verloren. Das
Bedürfnis unseren Bauch zu verstecken ist geblieben. Beobachten Sie
einmal einen Menschen, der sich erschreckt. Er krümmt sich leicht
nach vorn, zieht die Schultern hoch und presst die Arme an den
Körper. Keiner würde in diesem Moment seinen verletzbaren Bauch
präsentieren.

Auch der altbekannte Spruch: „Bauch rein, Brust raus!“ hält
sich leider immer noch vehement. In dieser Position soll man
angeblich besonders standhaft und präsent sein. Stellen Sie sich
vor, Sie würden so in einen Ringkampf steigen. Jedes Kind würde Sie
k.o. schlagen, denn in dieser Position fehlt Ihnen in die nötige
Stabilität und Flexibilität, auf Ihr Gegenüber zu reagieren.

So ähnlich verhält es sich beim Sprechen. Die meisten Klienten,
die zu mir kommen, wissen meistens schon, dass eine Hochatmung nicht
von Vorteil für die Stimmgebung ist. Sie sind aber überrascht, wenn
ich Ihnen sage, dass diese falsche Atmung von Ihrer angespannten
Bauchdecke herrührt. Ist diese Muskulatur nämlich angespannt, sind
auch unsere Bauchorgane eingeengt und die Atmung kann nicht tief
genug greifen. Unsere Stimme kann sich also nicht voll entfalten,
weil wir ihr ihren vollen Klangraum vorenthalten. Eine zu flache
Atmung bzw. eine zu starke Brust- oder Schulteratmung sorgt dafür,
dass unser Kehlkopf nach oben rutscht. Dadurch klingt die Stimme eng,
gepresst und klein – dabei ist sie es gar nicht. Unsere Stimme ist
wie eine kleine Stimmgabel. Allein klingt sie so leise, dass sie fast
nicht zu hören ist. Aber stellt man sie auf Holz, auf einen
Resonanzkörper, hört man plötzlich einen Ton. UNSER Resonator ist
unser Körper und zwar nicht nur der Mundraum, der Kopf oder
vielleicht noch die Brust. Nein! Unser ganzer Körper arbeitet bei
der Stimmgebung mit. Und gerade die Körpermitte, die für unsere
Balance und Stabilität zuständig ist, stellt einen entscheidenden
Dreh- und Angelpunkt beim Sprechen dar. Deswegen plädiere ich immer
auch für eine Kräftigung der Bauch- und Rückenmuskulatur parallel
zum Stimmtraining.

Ein weiterer Effekt einer gesunden Bauchatmung ist die Entspannung
der Schulter- und Nackenmuskulatur. Menschen, die viel am
Schreibtisch sitzen, atmen oft zu flach in die Brust und verharren
oft Stunden in einer sehr angespannten Position, mit einem festen
Bauch. Bewusst in den Bauch zu atmen und die Bauchdecke loszulassen
wird Verspannungen in Ihrem Rücken lösen bzw. im besten Falle
vorbeugen. Die gute Nachricht ist also: Ein stimmförderliches
Körperbewusstsein und das Loslassen der Bauchmuskulatur kann man
durch Übung und Selbstbeobachtung durchaus lernen.

Leider ist das „mit dem Loslassen“ nicht so einfach. Gerade
Frauen fühlen sich beim Thema Bauch unter Druck gesetzt. Das gängige
Schönheitsideal setzt auf einen flachen, eingezogenen Bauch. Seinen
Bauch zu entspannen und somit zu zeigen, erfordert ein bisschen Mut.
Aber wenn wir erkennen, wie viel mehr wir aus unserer Stimme und
damit unserer Wirkung machen können, lohnt es sich, „loszulassen“
und ein bisschen mehr „Bauch zu zeigen“.

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Erfolg des Stimmtrainings II

Wovon hängt der Erfolg des Stimmtrainings ab? Teil II (III)

Eigenes Üben:

Jeder weiß: Ohne Fleiß kein Preis! Das ist natürlich auch im
Stimmtraining so. Für Ihr eigenes Vorankommen macht es einen
erheblichen Unterschied, ob Sie nur im Unterricht konzentriert üben
oder sich auch zu Hause Zeit für Ihre Stimme nehmen. Viele Elemente
im Stimmtraining sind ein reines Muskeltraining und somit eine
Fleißarbeit. Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass die Lippen
oder die Zunge auch Muskeln sind, die man trainieren kann, wie die
Bauchmuskulatur. Dieser Punkt hat einen großen Vorteil, denn anders
als Musikalität oder eine schnelle Auffassungsgabe, die einem zum
Teil angeboren ist, hat man den eigenen Fleiß konkret in der Hand.

Ziele:

Wichtig für den Erfolg des Stimmtrainings sind natürlich auch die gesteckten Ziele. Auch die Dauer der
Ausbildung hängt davon maßgeblich ab. Wollen Sie „nur“ Ihren
Dialekt verbessern oder Ihrer Stimme mehr Wohlklang und Tiefe
verleihen oder soll auch die Stimmkraft geschult werden? Ich habe oft
Klienten, die mit dem Ziel zu mir kommen, laut vor einem großen
Publikum zu sprechen. Oft ist die Stimme aber so versteckt, dass der
erste Schritt sein muss, die Stimme auf ein normales Maß der
Unterhaltungslautstärke zu bekommen. Erst wenn dieser Standpunkt
gefestigt ist, kann auch an der tatsächlichen Stimmkraft gearbeitet
werden, welche benötigt wird, um einen großen Raum zu füllen oder
sich über einen Geräuschpegel hinwegsetzen zu können.

Meiner Meinung nach ist die Behebung eines Dialektes auch eine
überwiegende Fleißarbeit. Wer die gelernten Artikulations- und
Geläufigkeitsübungen regelmäßig übt, kann innerhalb kürzester
Zeit große Erfolge feststellen. Die Arbeit am Stimmklang erfordert
im besonderen Maße eine hohe Sensibilität und ein gutes Gehör.
Neben den Resonanz- und Klangübungen, die im Unterricht erlernt
werden, erscheint es mir fast die schwierigere Aufgabe, seine eigene
Feinfühligkeit für seinen Körper und seinen eigenen Stimmklang zu
schulen. Je nach eigener Sensibilität kann dieser Prozess mehrere
Wochen aber auch Monate dauern.

Eine gesunde Rufstimme, auch Kraftstimme genannt, ist für mich
das „i-Tüpfelchen“ in der Stimmarbeit. Ist eine Stimme gefestigt
und gut ausgebildet, ist der Übergang meist fließend in eine
gesunde Kraftstimme. Im besten Falle ist die Stimme beim Rufen frei,
unangestrengt und mit einer guten ganzkörperlichen Beteiligung. Eine
generell selbstbewusste Grundeinstellung und körperliche Fitness
sind hierbei förderlich.

Soll zusätzlich auch an Präsentationen, Bühnen- oder
Mediensprechen gearbeitet werden, erfordert dies noch einmal einen
größeren Mehraufwand im Stimmtraining. Voraussetzung ist jedoch in
allen drei Bereichen eine gefestigte Stimme, die bereits in das
alltägliche Sprechen integriert ist.

Lehrer – Schülerverhältnis:

Die Arbeit an der Persönlichkeit erscheint mir die größte
Herausforderung im Hinblick auf die Stimme. Denn der schwierigste
Schritt ist, sich mit dem neuen Klang zu identifizieren. Es erfordert
Mut, alte Muster loszulassen und sich für die „neue Stimme“ zu
öffnen. Ich gebe zu, dass manche Stimmübungen auch ein Stück
Überwindung kosten. Ein befreiter Klang, hat immer etwas mit
„enthemmen“ zu tun – Blockaden, die uns hemmen loszulassen. Schon
ein befreites Gähnen oder Seufzen ist in unserer Gesellschaft
unschicklich, obwohl es eigentlich ein natürlicher Körperimpuls
ist. Wunderbar kann man das an Kindern sehen. Sie gähnen einfach,
wenn ihnen danach ist. Ohnehin können Kleinkinder, die gerade das
Sprechen lernen, ein Vorbild für uns sein. Sie experimentieren
fröhlich mit ihrer Stimme, plappern vor sich hin und wiederholen
teilweise so lange Lautverbindungen, bis diese verinnerlicht sind.
Dieses Ausprobieren der Stimme soll Teil der Stimmarbeit sein. Dies
erfordert natürlich ein hohes Maß an Vertrauen zum Stimmtrainer.
Vielleicht kennen Sie das auch aus der Schule: Der Schulerfolg war
eng damit verbunden, ob man den Lehrer mochte oder nicht – wo die
Chemie gestimmt hat. Suchen Sie sich deshalb einen Trainer, dem Sie
vertrauen und vor allem, wo Sie sich trauen können.

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Erfolg des Stimmtraining

Wovon hängt der Erfolg des Stimmtrainings ab? Teil I (III)

Albert Einstein hat einmal gesagt: „Holzhacken ist deshalb so
beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht.“

Im Stimmtraining ist es leider, wie im Sportbereich. Nach den
ersten Besuchen im Fitnessstudio werden Sie sicher gehörig
Muskelkater mit nach Hause nehmen, aber noch keine augenscheinlichen
Ergebnisse sehen. Nur mit kontinuierlichen Wiederholungen und viel
Disziplin werden Sie auch das entsprechende Ergebnis auf der Waage
sehen. So ähnlich verhält es sich mit der Stimme. Sicherlich wird
man sehr schnell – oft sogar in der ersten Unterrichtsstunde –
spüren, dass aus der eigenen Stimme mehr herauszuholen ist, als man
bisher vermutet hat. Dieses Ergebnis jedoch in das alltägliche
Sprechen zu übertragen, ist ein längerer Prozess. Ich vergleiche
das gern mit Autofahren lernen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an
Ihre erste Praxisstunde im Auto. Augen, Ohren, Hände und Füße
müssen gleichzeitig auf verschiedene Faktoren achten und zunächst
sind wir davon komplett überfordert. Aber nach und nach bekommen wir
eine Routine in den Abläufen und heute ist es das Normalste auf der
Welt sich in sein Auto zu setzen und einfach loszufahren.

Um an den Punkt zu kommen, die Stimme „einfach loszufahren“
braucht es viel Übung. Nicht umsonst absolvieren Schauspieler und
professionelle Sprecher eine mehrjährige Stimmausbildung. Nun will
nicht jeder professioneller Sprecher werden. Aber auch für kleinere
Veränderungen bedarf es Übung.

Nach meiner Erfahrung hängt der Erfolg im Stimmtraining von
folgenden Faktoren ab.

Musikalische Kenntnisse:

Eine wichtige Rolle für den Stimmunterricht spielen Ihre
Ausgangsvoraussetzungen, mit welchen Sie in den Unterricht kommen.
Günstig sind zum Beispiel musikalische Kenntnisse. Menschen, die
bereits ein Instrument spielen oder gespielt haben, sind meistens
sehr sensibel für Klangvorstellungen und haben ein aufmerksames
Gehör. Ideal wäre natürlich, wenn Sie in einem Chor singen oder
gar Gesangsunterricht nehmen. Denn Singen und Sprechen ähneln sich
sehr in ihren Grundpfeilern. So ist es einem Chorsänger nicht neu
auf Bauchatmung und eine gesunde Körperaufrichtung zu achten.

Allgemeine Körperkonstitution:

Auch Sport unterstützt die Arbeit an der Stimme. Die Stimmarbeit
ist im Wesentlichen auch eine Körperarbeit. Je wohler Sie sich in
Ihrem Körper fühlen und je gezielter Sie einzelne Körperpartien
anspannen bzw. entspannen können, desto effektiver greifen auch die
Stimmübungen. Im Umkehrschluss heißt das natürlich, je verspannter
wir sind und je blockierter einzelne Muskelgruppen sind, desto
schwieriger ist es, Ihren Resonanzkörper, der tatsächlich Ihren
ganzen Körper ausmacht, in vollem Maße einzusetzen. Hierbei spielen
vor allem die unmittelbaren Muskelgruppen im Hals-, Nacken- und
Schulterbereich eine Rolle, aber auch ein angespannter Bauch, eine
unflexible Hüfte, ja sogar eine Fußfehlstellung beeinflussen unser
komplettes Muskelsystem und somit auch unsere Stimme.

Sensibilität für den eigenen Körper:

Der erste Schritt für eine Veränderung ist die Wahrnehmung des
„Problems“. Nur was wir wahrnehmen, können wir auch verändern.
Deswegen ist eines der Hauptaufgaben des Stimmtrainings diese
Sensibilisierung für den Körper und die Stimme zu schärfen. Ein
gutes Gehör und eine schnelle Auffassung sind für die Verbesserung
der Stimme sehr förderlich.

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Mit der Stimme führen

Wissen Sie, wie man Hunde dressiert?

Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Stimme. Hunde verstehen
nicht den Inhalt unserer Worte. Sie reagieren allein auf den Tonfall
und lernen diesen mit einem bestimmten Verhalten zu verknüpfen.

Nun denken Sie sicher: „Was soll das mit mir zu tun haben? Ich
bin ein Mensch und mein Gegenüber versteht ganz klar den Inhalt
meiner Worte.“

Aber ist das wirklich so?

Forscher der Kommunikationswissenschaft haben schon in den 70er
Jahren festgestellt, dass die Wirkung einer Botschaft zu 55 % durch
die nonverbale Körpersprache, 38 % durch Mimik, sowie Stimmlage und
Augenkontakt und nur zu 7 % durch das gesprochene Wort interpretiert
wird. Man muss dazu sagen, dass in Fachkreisen mittlerweile
Uneinigkeit besteht, inwieweit diese Zahlen tatsächlich zutreffen.
Fakt ist jedoch, dass der reine Inhalt des gesprochenen Wortes nicht
der Hauptträger der Informationsvermittlung ist.

Die zwischenmenschliche Kommunikation ist also gar nicht so weit
entfernt von der Kommunikation mit dem liebsten Haustier des
Deutschen.

Ein anderes Beispiel zeigt sich in der Kindererziehung. Jedes
Kleinkind hört sofort am Klang der Stimme seiner Mutter, dass es
jetzt besser folgen sollte, denn sonst könnte Ärger drohen. Wer
eine Leitungsposition innehat, wird mir recht geben, dass
Mitarbeiterführung zuweilen auch an Kindererziehung erinnert. Klare
Ansagen zu machen, ohne sein Gegenüber zu harsch anzufahren und
dennoch genau zu signalisieren, dass dieser Ansage Folge zu leisten
ist, kann nicht immer einfach sein. Hier trifft der alt bekannte Satz
zu: „Der Ton macht die Musik“. Eine gute Ausdrucksweise kann uns
Türen und Tore öffnen. Genauso wie ein unbedacht ausgesprochenes
Wort diese verschließen kann. Ein guter „Führungston“ sollte
auf den Punkt gebracht, respektvoll und seriös sein und fachliche
Kompetenz vermitteln. Ihn zu finden erfordert manchmal viel Übung.
Aber genauso, wie ein junger Hundebesitzer lernen kann, seinen Hund
zu führen, können Sie auch lernen, den guten Ton zu treffen.

Überlegen Sie sich, ob Sie mit Ihrer Stimme führen, indem Sie
motivieren und positiv anleiten oder ob Sie mit Ihrer Stimme eher
missverstanden, nicht ernst genommen werden oder gar Menschen
abschrecken, verletzten und kleinmachen.

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Stimmt’s oder Stimmt’s nicht?

Wenn uns jemand fragt: „Stimmt‘s?“, dann impliziert die
Frage in den meisten Fällen: „Hab ich recht? Stimmt das, was ich
gesagt habe?“. Sie fordert quasi eine Bestätigung der Meinung
unseres Gegenübers.

Was wäre aber, wenn wir uns stattdessen einmal fragen: “Stimmt
das, was du gesagt hast, für mich?“. Und überhaupt – „Stimme
ich?“. Bin ich noch mit mir im Einklang? Wie oft stellen wir
uns diese Frage eigentlich und nehmen uns auch Zeit, ihr auf den Grund
zu gehen? Was bedeutet das eigentlich – „stimmig sein“? Stimmig
sein mit den Menschen, die mich umgeben, mit meiner Arbeit, meinem
Körper, meiner Psyche und vor allem meiner inneren Stimme? Es ist
nicht immer einfach, all diese Dinge im Gleichgewicht zu halten. Oft
wackelt unser „gut strukturiertes“ System gehörig. Aber wir
ignorieren die Bauchschmerzen und fahren weiter in unserer Spur. Oder
wir ergeben uns der Situation und denken uns – „Da kann ich eben
jetzt nichts daran ändern.“ Um es salopp zu sagen – wir
funktionieren eben.

Trotzdem merken wir, dass etwas in unserem Leben nicht „stimmig“
ist. Wir sind schlecht gelaunt, ja schlicht nicht gut gestimmt.

Unsere menschliche Stimme vermittelt nicht nur sachliche
Informationen, sondern auch unsere aktuelle Stimmung. Aber nicht nur
das, sie ist vor allem ein Ausdruck unserer Persönlichkeit. Nicht
umsonst leitet sich eben dieses Wort von dem lateinischen Wort
persona ab, was so viel bedeutet wie „durchtönen“. Dieses
Durchtönen bezieht sich auf die antike Schauspielpraxis, in welcher
die Schauspieler Masken trugen, durch welche sie „hindurch
sprachen“, um ihre Stimmen zu verstärken.

Die Stimme ist meist ein erster Indikator für die Unstimmigkeiten
in unserem Leben. Wir alle kennen das Phänomen in Stresssituationen,
wenn wir beispielsweise eine Rede halten müssen und es uns
buchstäblich „die Sprache verschlägt“, oder den Moment, wo wir
so perplex sind, dass wir „kein Wort herausbekommen“. Aber auch
Gefühle wie Trauer und Freunde können allein an der Stimme
abgelesen werden. Sie alle sind sicherlich schon einmal von einem
lieben Freund angerufen worden und haben sofort am Klang seiner
Stimme erkannt, dass etwas Schlimmes passiert sein muss.

Das sind natürlich nur kleine Beispiele. Generell lässt sich
jedoch sagen, dass alle Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens
gemacht haben, unsere Persönlichkeit – und damit unsere Stimme
– geprägt haben.

Viele Menschen denken, dass sie an ihrer Stimme nichts verändern
können und resignieren. Dies muss aber nicht so sein. Die Stimme ist
ein Muskel, welchen man trainieren kann, wie Liegestütze. Sicherlich
sind die Stimmlippen etwas komplexer als Oberarme. Die Stimmfunktion
lässt sich nicht mit einer „Universalübung“ an einem Tag neu
aufbauen. Aber auch jeder gute Fitnesstrainer wird Ihnen die Illusion
nehmen, dass man in einer Woche 10 Kilo abnehmen kann und die neue
Figur ein ganzes Leben halten wird. Dies erfordert ein
kontinuierliches Training. Seine Stimme auszubauen, kennen und lieben
zu lernen, lohnt sich. Denn es ist nicht nur so, dass unsere
Emotionen die Stimme beeinflussen, sondern es funktioniert auch
andersherum. Eine richtig „gestimmte“ Stimme kann den Körper zur
Ruhe bringen und zu mehr Präsenz verhelfen. Damit wird mehr Raum
geschaffen, dem Geist, den Inhalt, den wir äußern wollen,
bestmöglich zur Sprache zu bringen.

Fragen Sie sich doch öfter mal „stimmt’s? – oder – stimmt’s
net?“ bei mir und was kann ich dagegen unternehmen?

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Identifikation und Dialekt

Vor ein paar Wochen habe ich wieder einen neuen Jahrgang in
Zwickau übernommen, dem ich die Stimmbildung näherbringen darf. In der Stadt
mit knapp 100.000 Einwohnern wird ein sehr außergewöhnlicher Studiengang
angeboten, der Studenten aus ganz Deutschland anzieht. Erst seit reichlich zehn
Jahren werden dort Gebärdensprachdolmetscher ausgebildet. Für mich birgt dieser
Berufszweig ein vollkommen neues Klientel. Ich muss zugeben, dass ich mich
vorher nicht mit Gehörlosen beschäftigt habe, geschweige denn mit
Gebärdensprache.

In den ersten Stunden des Unterrichts bekommen die Studenten
meist von mir ein Expertenfeedback, sodass sie ihren Ist-Zustand einschätzen
können. Für die meisten ist das nicht selten der erste Moment, in dem sie sich
überhaupt mit ihrer Stimme und ihrem Sprechen auseinandersetzen. Aufgrund der
Seltenheit des Studienganges bilden die Studenten einen bunten Strauß aus allen
Regionen Deutschlands inklusive deren Dialekten.

Die Frage nach dem Dialekt wurde mir schon das ein oder
andere Mal in meinem Berufsleben gestellt, aber in Zwickau drängte Sie sich
immer wieder in unsere Auswertung. Ist denn ein Dialekt negativ zu werten? Und
wenn ja, muss ich ihn mir abgewöhnen? Bin ich dann überhaupt noch ich?

Zunächst einmal – ein Dialekt ist überhaupt nicht negativ.
Er ist einfach nur wahrnehmbar. Unsere heutige Standardsprache war früher auch
ein Dialekt, der irgendwann einfach als Standard festgelegt wurde und sich
offiziell durchgesetzt hat.

Fakt ist jedoch, dass ein Dialekt immer eine Wirkung bei
unserem Gegenüber erzeugt, je nachdem welche Erfahrung mit diesem Dialekt
gemacht wurde und wie unsere Gesellschaft diesen Dialekt anerkennt und
bewertet. Im Allgemeinen wirkt beispielsweise der sächsische Dialekt etwas
ungebildet und der bayrische oft niedlich und zünftig. Manchmal kann ein
Dialekt auch so stark sein, dass der Inhalt nicht mehr zu verstehen ist.

Letztendlich sage ich immer zu meinen Studenten, dass ich es
ihnen vollkommen freistelle, ob sie das Standarddeutsch lernen wollen oder
nicht. Ich benutze hier ganz bewusst das Verb lernen und spreche nicht davon,
sich den Dialekt abzugewöhnen, denn dieser kann in der Heimat durchaus wichtig
sein. Er verstärkt das Gemeinschaftsgefühl und weckt Vertrauen bei denjenigen,
die ihn teilen. Ziel ist es also nicht, den Dialekt abzugewöhnen, sondern in
bestimmten Situationen auf eine Hochlautung „umschalten“ zu können. Es ist
schließlich so, dass eine korrekte Standardaussprache unsere positive Wirkung
beim Gegenüber verstärkt. Wir wirken kompetenter, souveräner und sind beruflich
vielfältiger einsetzbar.

Nun zu der letzten Frage. Bin ich dann noch ich, wenn ich
plötzlich Standard spreche?

Da ich selbst ein starker Dialektsprecher war, kann ich
dieses Dilemma gut nachvollziehen. In der ersten Phase des Umlernens fühlt man
sich wie ein Fremder. Man hat sich jahrelang mit seinem Sprechen identifiziert
und jetzt soll man plötzlich sprechen, wie die „feinen Leute“. Noch schlimmer,
als die eigene Irritation, kann die der anderen sein. Plötzlich fragen uns
unsere langjährigen Bekannten und Freunde, warum wir auf einmal so vornehm und
bedacht sprechen und was denn bei uns nicht mehr stimme. Das kann dazu führen,
dass wir uns nicht mehr authentisch fühlen und uns sagen „Das bin nicht ich,
das fühlt sich künstlich und ungewohnt an“. Aber was bedeutet denn das „ich
sein“, das „gewohnt sein“? Wir sind das, was wir jeden Tag gewohnt sind zu tun.
Wir sind eine Kette von Angewohnheiten und da wir sie jeden Tag tun, sind sie
uns vertraut. Wir identifizieren uns damit. Ist es dann nicht so, dass man
einfach ein neues Verhalten in seinen Alltag integrieren und es zur Gewohnheit
machen kann? Wir haben viel mehr Fähigkeiten als wir glauben. Neues in den
Alltag zu integrieren bedeutet lediglich etwas Stress, denn unser Organismus ist
von Natur aus sparsam. Neue Prozesse kosten erst einmal Energie und sind
unbequem. Sie sind uns aber nur so lange unbequem, bis wir sie in unseren Alltag
integriert und uns zu Eigen gemacht haben.

Wenn wir uns erfolgreiche Menschen anschauen, dann können
wir beobachten, dass diese ein Stück weit unnormal – im Sinne von besonders –
sind. Sie haben die Fähigkeit, schnell auf neue Situationen zu reagieren und
die nötigen Prozesse in Gang zu setzen, die es braucht, um weiterzuwachsen.
Vera Birkenbihl sagte sehr treffend: „Wir sind mit einem Potenzial auf die Welt
gekommen, dann gingen wir durch einen Prozess, der sich da nennt Erziehung und
dann hat man uns normal gemacht.“.

Einerseits wollen wir normal sein, wir wollen dazu gehören,
Teil einer Gruppe sein. Denn unnormal heißt auch, anders und fremd zu sein und
das macht uns Angst. Aber um erfolgreich – und ich würde sogar so weit gehen,
zu sagen: um glücklich zu sein, sollten wir den Mut haben, anders zu sein und
Dinge anders zu tun, als es die Meisten tun. Auch wenn das bedeutet, dass unser
Umfeld uns plötzlich als unnormal empfindet und uns darauf stößt, dass wir gar
nicht mehr wir sind. Im besten Fall können wir dann sagen: „Ja stimmt, ich habe
mich verbessert und entwickelt“. Denn, was bedeutet eigentlich Entwicklung? Wir
haben uns ent-wickelt – nämlich uns von unseren Fesseln, Verstrickungen und
Grenzen befreit.

Warum ist dann eine Veränderung – egal welcher Art und auch
wenn sie für uns positiv ist – so unbequem für uns und andere? – weil wir
plötzlich mit Neuem konfrontiert sind und noch keine Strategie gefunden haben
damit umzugehen. Und das stresst uns. Veränderungen sind aber notwendig um zu
wachsen. Denn ohne etwas zu verändern bleiben wir immer nur der, der wir schon
sind. Das widerstrebt unserer Natur. Schließlich will alles in unserer Umwelt
wachsen. Pflanzen werden größer, stärker, robuster. Familien wachsen. Und auch
wenn wir körperlich ausgewachsen sind heißt das nicht, dass wir nicht mental
wachsen können.

Oft gratulieren uns die Menschen zum Geburtstag mit den
Worten „Bleib so wie du bist“. Aber ist das wirklich gut? Heißt das dann nicht,
dass wir stehen bleiben und nächstes Jahr genauso weit gekommen sind wie die
Jahre davor, nämlich nicht voran? Wenn ich solche Wünsche bekomme, dann füge
ich leise für mich hinzu: „Ich hoffe nicht.“ Ich hoffe nämlich, ich weiß
nächstes Jahr mehr und habe mich weiter ent-wickelt.

Ein gewisses Maß an Anstrengung ist immer notwendig um zu
wachsen und stärker zu werden. Auch ein Küken kann nicht ohne Kraftanstrengung
aus seinem Ei schlüpfen und in die nächste Phase seines Lebens übergehen.
Genauso brauchen wir manchmal ein Stück Überwindung, Kraft und Ausdauer, bevor
wir wachsen können.

Also überlegen Sie sich das nächste Mal ganz ehrlich, wenn
in Ihnen die Frage auftaucht „Bin das wirklich ich?“ dass dieses andere,
fremde, neue Ich, was Sie mit ein wenig Mühe sein könnten, besser ist als Ihr
altes Ich. Und vielleicht lohnt sich der Stress, das neue Ich in Ihr Leben zu
integrieren.